20. Dezember 1924.
Im Junkers-Flugzeug über den Krater des Vesuvs.
(Neapel – Brindisi in 3 Std. 35 Min.)
„Noch einmal wollte ich mich an dem Anblick Neapels satt sehen, bevor wir weiter nach Süden neuen Städten entgegeneilten. In großem Bogen nach Norden ausholend, zogen die herrlichen Bauten, die stolzen Anhöhen und neapolitanischen Appenninenberge an uns vorbei, dabei immer tiefer unter uns zurückbleibend. Bald habe ich die Höhe des Vesuvs erreicht und umfliege den riesigen, qualmenden Kraterrand von Nord über Ost nach Süd, um nicht mit dem schwefligen Vulkanrauch unliebsame Bekanntschaft zu machen. Jetzt sind wir nahe über der Krateröffnung, schauen aus luftiger Höhe in den feurig glühenden Schlund und genießen ein Schauspiel der Natur, das mich in seiner Größe tief ergreift.
Unser Motor hat bis jetzt einwandfrei gearbeitet, nicht die geringste Disharmonie ist unseren darauf eingestellten Ohren bemerkbar geworden, so daß ich mich nun der Vorsichtsmaßregel, immer über zu erreichendem Wasser zu halten, enthoben fühlte und unbekümmert um Land und steile Berge genau den kürzesten Kurs fliege. Hohe, schneebedeckte Berge von über 2000 Meter Höhe versperren mir den Weg, so daß ich gezwungen bin, Vollgas zu geben, so ungern ich dies jedesmal mache. Ich hatte es mir vor dem Antritt meiner großen Reise in den Kopf gesetzt, so wenig als möglich mit Vollgas, also mit 1350 Touren zu fliegen, um meinen Motor zu schonen, damit er fähig ist, in Persien die Höchstleistungen von 6000 Meter und darüber ohne Ermüdungserscheinungen und Störungen zu vollbringen. Doch jetzt war ich wohl oder übel dazu gezwungen, um so mehr, als der starke Gegenwind in den Bergen tückische Wirbel erzeugte. Hoch wurden wir jedesmal emporgeschlagen, wenn wir über die Luvseite eines kahlen, meist abgerundeten Bergrückens kamen, um nachher wieder zu fallen. Es war ein wilder, etwas ermüdender Tanz in den unwirtlichen, unfruchtbaren und meilenweit unbewohnten Bergen Kalabriens; dazu der Gegenwind, der uns langsam vorwärts kommen ließ. Vergebens spähte ich ungeduldig nach Osten – nach dem Meere. Als ich einmal nach rückwärts, nach meinem Monteur Bissegger schaute, machte derselbe ein ziemlich saures Gesicht. Ihm behagte der Flug über diese wilde, menschenverlassene Gegend, wo eine Störung unseres Motors den Verlust unseres Metallvogels bedeutet hätte und damit auch unserer großen Pläne, noch weniger als mir. Er hatte keine Karte bei sich, wußte nicht, wo er sich befand, sondern sah aus seinem idealen Beobachtersitz nichts als eine trostlose, von mächtigen Wildbächen und Strömen durchzogene Gegend.
Langsam verrinnt auch mir die Zeit; ich nehme meinen Zirkel zur Hand und beginne auf der Karte abzustechen. Nach meiner Berechnung hätte ich nach 30 Minuten von Sapri aus das Meer im Golf von Caranto aus meiner Höhe von 3000 Metern erblicken sollen; offenbar mußte ich also viel nach Norden gehalten haben. Ich nahm etwas mehr südöstlichen Kurs, und endlich löste sich langsam aus der Horizontlinie, erst blaß, dann immer intensiver blau werdend, das Jonische Meer heraus.“ Von da aus war es leicht, Brindisi zu erreichen, wo um 15.20 Uhr gelandet wurde. Die Besatzung der italienischen Flugstation empfing die schweizerischen Flieger begeistert und lud sie zum Fliegerball im wundervollen Offizierskasino ein.
21. Dezember 1924.
Über das Joniscbe Meer.
(Brindisi-Athen in 6 Std. 10 Min.)
„Da die Strecke bis Athen 700 Kilometer beträgt und wir infolge des heftigen Nord-Nordostwindes mit Gegenwind zu rechnen hatten, hatte ich Auftrag gegeben, unsere Benzinbehälter mit 400 Liter Benzin zu füllen. Die Maschine war also beinahe mit 100 Kilogramm überlastet. Der Start in dem engen Hafen um 10.40 Uhr, wo infolge des Nordwindes ziemlich Wellengang herrschte, war schwer, und erleichtert atmete ich auf, als ich kurz vor dem Ufer das nasse Element verlassen konnte. Ich hielt direkt Kurs Nordosten, wo bald aus dem Dunst die schneebedeckten Berge Griechenlands uns zuwinkten. Rechts und links wurden wir eskortiert von zwei italienischen Savoiaflugbooten, die der Fliegerkommandant als Ehrengeleite aus den gastlichen Gefilden Italiens uns stellte. Ein letztes Händewinken von Flugzeug zu Flugzeug, und in einer eleganten Kurve verabschiedeten sich die beiden Kameraden. Wir waren allein auf weitem Meer, kamen aber infolge des Gegenwindes nur langsam vorwärts. Das Meer unter uns war ruhig, so weit das Auge reichte, kein Wölkchen am Himmel. Nach scheinbar unendlich langer Zeit, nach einer Stunde Flugzeit über offenem Wasser erreichte ich die Nordküste der Insel Korfu.“
Bald jedoch wird Padras und Itaka erreicht, wobei Mittelholzer an die Landschaft Spitzbergens erinnert wird, die er vor zwei Jahren ebenfalls in einem Junkers-Flugzeug überflogen hatte. Die Stadt Padras wird um 14.05 Uhr, Korinth um 15 Uhr überflogen, um 15.50 Uhr wird der Hafen von Athen, Pyräus, erreicht, wo die Landung unter schwierigen Umständen erfolgt, da der Hafen von Schiffen vollgestopft ist.