Die Forschung endet nie - Der dicke Flügel und der Junkers Flugzeugbau.
Der in der zeitlichen Folge dritte große Technikbereich, dem sich Prof. Junkers widmete und mit dem er weltweit bekannt wurde, war der Flugzeugbau. Der Junkers-Flugzeugbau war vor allem durch drei Besonderheiten gekennzeichnet: Erstens durch die Ganzmetall-Bauweise, zweitens durch die freitragende Eindecker-Bauweise und drittens durch den sogenannten „dicken Flügel“.
AUTOR
Bernd Junkers
JAHRESANGABE
1915
TYP
Innovationen im Flugzeugbau
Die Verwendung dieser Techniken in einem Flugzeug war die Grundlage für eine völlig neuartige Qualität einer ganzen Generation von Verkehrsflugzeugen und hatte einschneidenden Einfluss auf den Flugzeugbau in seiner Zeit. Im Zeitraum von 1915 bis zum Jahre 1932 entstanden in Dessau unter der Leitung von Hugo Junkers von der J 1 bis zum Schnellverkehrsflugzeug Ju 60 insgesamt 36 Flugzeugtypen, davon 11 für den Linienflugverkehr, beginnend mit der einmotorigen F 13 für vier Fluggäste, bis zu der viermotorigen G 38 für 30 Passagiere.
Und wieder hatte alles mit einer einschneidenden Erfindung begonnen. Zu einer Zeit als die Aufmerksamkeit von Prof. Junkers in Aachen vollständig auf Forschungen an Ölmotoren gerichtet zu sein schien, lernte er in Prof. Hans Reißner einen Hochschullehrer-Kollegen kennen, der sich mit technischer und flugtechnischer Mechanik sowie mit der Aerodynamik beschäftigte.
Im Jahre 1907 vereinbarten Reißner und Junkers eine Partnerschaft, die zum Ziel hatte, ein aus Frankreich bezogenes Voisin-Flugzeug nach Reißners Vorstellungen umzubauen und zum Fliegen zu bringen. Reißner beschaffte das Flugzeug, erstellte die Konstruktionspläne für den Umbau und leitete die Flugerprobung, während Junkers seine Kenntnisse in Fertigungstechnik und Materialkunde einbrachte, seine Werkstätten für den Umbau zur Verfügung stellte und den Umbau finanzierte.
Der Leitwerksträger war aus Stahlrohren zusammengeschweißt. Auch die Flügel sollten aus Metall hergestellt werden. Prof. Reißner hatte sich für aerodyna¬misch leicht gewölbte dünne Wellblechflügel entschieden. Junkers ließ sie in seinem Dessauer Werk anfertigen und wählte dafür erstmals Aluminium als Werkstoff, in der Absicht, die Masse der Flügel möglichst gering zu halten. Die Reißner-Ente war das erste flugfähige Ganzmetallflugzeug.
Die Reissner-Ente
In dieser Zeit, von den dünnen Tragflächen Reißners herausgefordert, beschäftigte sich Junkers nunmehr grundsätzlich mit den künftigen Aufgaben und Möglichkeiten des Flugwesens. Er erkannte, dass das Flugzeug als schnellstes Transportmittel zwischen zwei Orten mehr zu leisten vermag, als lediglich fliegerischen Vorführungen oder Rekordjagden zu dienen. Denn genau das war der Verwendungszweck der sogenannten „fliegenden Kisten“ vor dem ersten Weltkrieg. Deren Beschaffenheit war noch ausnahmslos von dem Grundsatz diktiert, ein Flugzeug müsse einen starken Motor haben, aber möglichst leicht sein. Deshalb herrschte auch überall die Leisten-Bespannstoff-Spanndrähte-Bauweise vor.
Junkers wandte sich von dem, was üblich war ab und stellte vergleichende aerodynamische Studien an. Dabei fand er einen überaus wichtigen theoretischen Ansatz für die flugtechnische Praxis. Er lautete: Der Kernpunkt des Flugproblems liegt nicht auf dem Gebiete des Gewichtes sondern dem der Strömungstechnik. Das Gewicht wird ja durch den Motor nicht direkt gehoben, sondern durch die Vermittlung der Flügel. Die Propellerschraube hat deren Widerstand zu überwinden; das Gewicht wird durch den Auftrieb getragen, das Maßgebende ist also das Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand.
Diese Einsicht war der Schlüssel für sein späteres erfolgreiches Wirken als Hersteller von Flugzeugen, denn sie erschloss ihm völlig neue Vorgaben für die Konstruktion und die Fertigung. Die Gestaltung des Flugzeugflügels rückte jetzt in den Vordergrund seines flugtechnischen Interesses. Die Problemlösung bestand darin, dem Flügel eine Form zu geben, der für ein optimales Verhältnis von Auftrieb zu Widerstand sorgte und es gleichzeitig ermöglichte, die den Luftwiderstand erzeugenden Lasten und Versteifungen in sein Inneres zu verlegen. Damit war die umwälzende Idee des dicken Flügels geboren.
Nun stellt sich die Frage, warum Junkers seine Entdeckung vom dicken Flügel nicht schon bei der Reißner Ente zum Einsatz brachte. Die Erklärung ist einfach: Junkers war nicht derjenige, der eine Idee hatte und dann drauflos baute. Es sollte noch 5 Jahre mit intensiver Forschung und Versuchen dauern, bis sich sein erstes Flugzeug mit dem dicken Flügel im Dezember 1915 in Döberitz in die Luft erhob. Es war die Junkers J 1, der weltweit erste flugfähige verspannungslose Ganzmetalleindecker. Er wies eine für das damalige flugtechnische Verständnis sehr elegante aerodynamische Form auf, war sehr schnell, blieb aber, weil aus Stahlrohren und Eisenblech gefertigt und damit schwer, ein Einzelexemplar.
In der Steigfähigkeit war die Ganzmetallflugzeugbauart von Junkers allerdings den damals üblichen holz- und stoffbespannten Militärflugzeugen unterlegen. Deshalb war der Beitrag von Junkers-Flugzeugen während des ersten Weltkrieges mit wenigen Prozent unbedeutend. Lediglich das Flugzeug J 4 mit einer gepanzerten Wanne für Motor und Besatzung wurde in einer nennenswerten Anzahl, 190 Stück, gebaut.
Der Durchbruch – Die Junkers F 13
Der Durchbruch gelang sogleich nach dem Ende des Krieges mit einem Ganzmetall-Verkehrsflugzeug, dem einmotorigen Tiefdecker F 13 für vier Passagiere und zwei Piloten. Während andere deutsche Flugzeugbauer in den Kriegsjahren vollständig auf den militärischen Bedarf fixiert waren, hatte die im Jahre 1915 in Dessau gegründete „Forschungsanstalt Prof. Junkers“ intensiv an den Untersuchungsreihen für den Ganzmetallflugzeugbau gearbeitet. Daher verfügte Dessau bei Kriegsende über einen weit fortgeschrittenen Forschungsvorlauf, der es ermöglichte, die Konstruktion und Fertigung unverzüglich auf die zivilen Bedürfnisse umzustellen und zum deutschen Marktführer des modernen Verkehrsflugzeugbaues zu werden. Die F 13 war das erste Ganzmetall-Verkehrsflugzeug der Welt, der Urtyp aller Verkehrsflugzeuge und seine wesentlichen Konstruktionsmerkmale haben bis heute im Verkehrsflugzeugbau Gültigkeit. Die F 13 wurde 360-mal gebaut.
Die erste F 13 erhob sich am 25. Juni 1919 zum erfolgreichen Jungfernflug. Und am 13. September 1919 stieg sie mit acht Personen an Bord auf die Weltrekordhöhe von 6.750 Metern. Es war die erste Weltrekordleistung eines Junkers-Flugzeuges, der Dutzende weitere in den nächsten Jahren folgen sollten. Albert Einstein war in höchstem Maße fasziniert von einem Rundflug über Buenos Aires und lobte das Flugzeug als ein vollkommenes Meisterwerk moderner Technik.
Aber – wie schon beim Kalorimeter und beim Ölmotor – war das F 13-Verkehrsflugzeug nicht nur Endprodukt einer forschungsgestützten Entwicklung, sondern bereits wieder Ausgangspunkt für neue flugtechnische Innovationsprozesse. In den Jahren 1923/24 präsentierte die „Junkers Flugzeugwerke A. G.“ die beiden Versionen des dreimotorigen Verkehrsflugzeuges G 23 und G 24, im Jahre 1926 die ebenfalls dreimotorige G 31, im selben Jahr die vornehmlich für den Frachtflugverkehr konzipierten W 33 und W 34, schließlich im Jahre 1929 das damals weltweit größte viermotorige Großverkehrsflugzeug G 38. In den Jahren 1930 und 1931 folgten die einmotorige und die dreimotorige Ju 52.