Nach mehr als zwei Stunden Flug gelang es Neumann, das Flugzeug endlich in einer Höhe von 2000 m zu halten und bis zur Hinlopen-Straße durchzudringen. Hier begann das noch unerforschte Nordostland.
Pilot Neumann musste eine Drehung nach der anderen mit der F 13 ausführen, damit Mittelholzer aus den offenen Kabinenfenstern links und rechts seine Aufnahmen machen konnten.
Das Flugzeug war mit den neuesten Navigationsinstrumenten ausgestattet: einem Abtriftmesser von der Optischen Anstalt Goerz, mit dem die jeweilige Abtrift und Geschwindigkeit des Flugzeuges bestimmt werden konnte, einem Libellen-Quadranten mit künstlichem Horizont, mit dem die geografische Länge und Breite fixiert werden konnte, und zwei Fluidkompassen, die am Flugzeug kardanisch aufgehängt und montiert worden waren.
In der F 13 waren beiden vorderen Passagiersitze entfernt und an deren Stelle ein großer Zusatztank eingebaut worden, so dass die F 13 bis zu 18 Stunden ununterbrochen in der Luft bleiben konnte. Über diesem Reservetank war eine Tischplatte montiert, auf dem die Karten ausgebreitet werden konnten.
Mittelholzer verfügte über eine erstklassige Film- und Fotoausrüstung, die ihm die Firma Goerz zur Verfügung gestellt hatte: eine Kino-Apparatur für 120 m Film, eine Plattenkamera 13 x 18 cm und eine Handkamera mit 18 cm Brennweite, dazu das dazugehörige Aufnahmematerial.
Ein starker Nordostwind hinderte sie am schnellen Vorankommen und bei jedem Kurvenflug, den Mittelholzer zu Fotografierzwecken anordnete, trieb die Maschine wieder nach Süden ab. Trotzdem gelang es ihnen, auf der Höhe der Walfischinseln bis zum 80. Breitengrad vorzudringen. Nun war von ferne der Pol auch ohne Kompass auszumachen. Das Ziel war fast greifbar nahe – da begann der Motor wieder zu stottern und setzte teilweise sogar ganz aus. Dem flugerfahrenen Mittelholzer wurde die Sache zu riskant, er reichte seinem Piloten Neumann einen Zettel nach vorn: „Wollen wir nicht lieber kehrtmachen?“
Neumann schilderte später in einem Interview seinen inneren Kampf
„Ich verließ mich auf mein Fliegerglück. Immer wieder weise ich nach Norden: Dort liegt der Pol! Der Höhenmesser zeigt 2200 m. Über uns azurblauer Himmel. Standort etwa 83 Grad nördlicher Breite. Ohne Defekt am Motor und mit ausreichenden Treibstoffvorräten wäre es durchaus möglich gewesen, den Pol in vier bis fünf Flugstunden zu erreichen. Sollte es uns nicht doch gelingen? Noch einmal überlege ich: Eine Reparatur auf dem Eis versuchen? Andererseits – mit diesem tuckernden Motor weiterzufliegen hätte das sichere Ende bedeutet. Wer würde uns hier oder weiter nördlich finden können? Schweren Herzens entschließen wir uns: Abdrehen vom Nordkurs! Noch ein letzter Blick in Richtung Norden, dann entschlossen Kurs West und nach einer sanften Linkskurve Richtung Südwest und Süden …“
Wie weise diese Entscheidung war, stellte sich nach der Landung in Green Harbour heraus. Der Magnet I, der den Strom für die Zündung der Zündkerzenreihe 1 liefern sollte, war defekt. Bei Vollgas reichte die Zündung des parallel geschalteten Magnet II nicht aus, um die Verbrennungsgase zu entzünden, der Motor konnte also nur noch bei niedriger Tourenzahl arbeiten. Wären sie im Nordpolarmeer gelandet, hätte die Motorkraft für einen erneuten Start aus dem Wasser nicht ausgereicht. Ihnen wäre nur noch die Möglichkeit geblieben, das Flugzeug als Motorschiff zu benutzen und sich mit laufenden Propellern soweit wie möglich zurück nach Spitzbergen zu kämpfen. Ein ziemlich aussichtsloses Unterfangen …
Aber auch wenn sie den Nordpol nicht erreicht hatten, mit der Überfliegung des 82. Breitengrades waren sie die bisher am weitesten nach Norden vorgedrungenen Flieger – das war ein neuer Rekord.
Leider gelang es Neumann nach seiner Rückkehr in Spitzbergen nicht, den defekten Motor zu reparieren. Alle möglichen Ersatzteile hatte die Expedition mitgeschleppt, an einen Ersatzmagneten für den Motor hatte keiner gedacht. Der nächste Dampfer aus Norwegen traf erst in drei bis vier Wochen ein, so lange konnte die Expedition nicht warten. Obwohl noch Treibstoff für 20 Flugstunden vorhanden war, musste Mittelholzer schweren Herzens auf weitere Fotoflüge verzichten und mit dem nächsten Dampfer am 15. Juli 1923 abreisen.