Wir hatten den Flug in einer Durchschnittshöhe von 1000 m zurückgelegt und gingen nur einmal bis auf 300 m herunter, um einen Dampfer, den wir mit Westkurs auf hoher See trafen, näher zu betrachten und ihm Grüße zuzuwinken. Das Erstaunen der Schiffsbesatzung dürfte ziemlich groß gewesen sein, in diesen Gewässern plötzlich zwei Flugzeugen zu begegnen. Dieser Dampfer war jedenfalls das einzige Fahrzeug, welches wir unterwegs antrafen, abgesehen von einigen kleinen Fischerbooten an der venezolanischen Küste.
Für unseren Flug hatten wir für zwei Tage Proviant, bestehend aus Butterbroten, Früchten, Schokolade und Mineralwasser mitgenommen, da wir mit einer Motorpanne rechnen mußten, aber die braven BMW’s hielten tadellos durch. Trotz des diesigen Wetters und des starken Windes, verbunden mit zeitweiligen Regenbögen war der Flug für uns außerordentlich interessant und nach seiner tadellosen Durchführung eine große Genugtuung.
Unsere Ankunft in La Guaira erweckte großes Erstaunen, das sich in Begeisterung umwandelte, als es den Venezolanern klar wurde, daß es sich um deutsche Flugzeuge und deutsche Flieger handele. Nachdem wir unsere Flugzeuge an Bojen festgemacht und die für einlaufende Schiffe vorgeschriebene Formalitäten hinter uns hatten, bei deren Erledigung die Behörden sich übrigens außerordentlich entgegenkommend und liebenswürdig zeigten, konnten wir an Land gehen, wo wir von einer rasch zusammengeströmten Menge mit Jubel empfangen wurden.
Die Spitzen der Behörden von La Guaira belegten uns sofort mit Beschlag, und wir mußten bei vielen Cocktails Rede und Antwort stehen. Schließlich wurden wir ins Hotel geleitet, aber auch dort suchten uns noch Reporter auf, um noch schnell alles Wissenswerte für ihre Morgenausgaben zu erfahren, und so fanden wir am nächsten Tage an den führenden Blättern der Hauptstadt ausführliche Artikel über unseren Flug. …“
Auch die heimatliche Presse nahm Notiz von diesem Ereignis. So schrieb die Deutsche Allgemeine Zeitung am 7. Febr. 1923:
„Nach einer Kabelmeldung aus New York haben vor einigen Tagen zwei Junkers-Wasser-Verkehrsflugzeuge, die schon seit einiger Zeit auf Kuba stationiert sind, von San Domingo einen ununterbrochenen Flug über das Karaibische Meer nach La Guayra, dem Hafen von Caracas (der Hauptstadt Venezuelas), durchgeführt. Sie haben die 500 Seemeilen (gleich 900 Kilometer) weite Strecke über den Ozean in 8 Stunden zurückgelegt. Für den Verkehr des südamerikanischen Festlandes mit der im Welthandel bedeutsamen Inselgruppe der Großen Antillen, worauf an dieser Stelle (vgl. „Weltverkehr“: Barranquilla – Bogota vom 15. Oktober 1922) schon nachdrücklichst hingewiesen wurde, wird dieser Ozeanflug ganz besondere Beachtung finden müssen.“
Als die Piloten am Morgen nach ihrer Ankunft in La Guaira den Hafen aufsuchten, bot sich ihnen ein erschreckendes Bild. Über Nacht war hoher Wellengang bis weit in den ungeschützten Hafen vorgedrungen und hatte die Flugzeuge mehrfach an die Bojen geschleudert. Dabei hatten sie sich Beulen an Tragflächen und Schwimmer zugezogen, sodass in den nächsten Tagen wieder Reparaturen fällig waren.