In diesem eingereichten Patent wurde die von Wergien verwendete Bezeichnung „Tragflächen“ durch „Gleitflieger“ ersetzt, offensichtlich wollte man damit den Patentanspruch auch auf nichtmotorisierte Flugzeuge ausdehnen. Erkenntlich ist das auch aus der hinzugefügten Zeichnung Fig. 3.
Die Patentansprüche wurden mehrmals aufgrund von Einsprüchen durch die Vorprüfer abgelehnt, durch Junkers entsprechend abgeändert und neu eingereicht. Die Idee, dass Motoren und Personen in als Hohlkörpern ausgebildeten Tragflächen untergebracht werden können, stellte sich als nicht so neu heraus, auch die eingebauchte (konkave) Form der Tragflächenunterseite sei bekannt und selbsttragende Gitterträgerverbände nach Anspruch 3 gäbe es bereits bei einem Antoinette-Flugzeug7, wurde Junkers entgegengehalten. Der für Patentsachen zuständige Oberingenieur Wergien erklärte dem Patentamt immer wieder geduldig, dass das Neue der Erfindung die stromlinienförmige Gestalt des Hohlkörpers sei, die selbst Auftrieb erzeugen konnte:„Nicht die Umhüllung an sich, auch nicht eine solche Umhüllung, welche geeignet ist, den Luftwiderstand der umschlossenen Teile zu vermindern, wird als neu beansprucht, sondern eine solche Umhüllung, welche geeignet ist, Auftrieb zu erzeugen. Eine derartige Umhüllung darf sogar und wird vielfach auch mehrLuftwiderstand besitzen als die umschlossenen Teile für sich, aber nicht in zweckloser Weise, vielmehr unter Vermehrung des Auftriebes und unter Verbesserung des Verhältnisses von Auftrieb zu Widerstand, worauf es allein ankommt. Die Erzielung dieser Vorteile hat zunächst mit der Gestaltung der Hauptflügel gar nichts zu tun; letztere können ganz beliebig gestaltet sein.“8
Zweieinhalb Jahre nach der Einreichung erklärte sich das Kaiserliche Patentamt endlich zur Bekanntgabe des Patentes bereit, forderte aber noch einige Änderungen:
„Die am 31. Januar 1910 eingegangene Patentanmeldung des Professor Hugo Junkers in Aachen, Frankenburg, wird bekannt gemacht werden, wenn Anmelder sich innerhalb zwei Wochen mit den noch vorgenommenen Änderungen der Unterlagen einverstanden erklärt und die Anlagen (Beschreibung in Urschrift, Patentansprüche in Reinschrift) zurückreicht.
Der Anspruch 1 ist zur Vermeidung einer unnötigen Beschränkung in zwei Ansprüche zerlegt worden; Anspruch 3 ist gemäß Eventualantrag gestrichen worden.
Die Bekanntmachung wird alsdann erfolgen in der Klasse 77 h mit der Bezeichnung: „Gleitflieger mit zur Aufnahme von nicht Auftrieb erzeugenden Teilen dienenden Hohlkörpern“ und zwar sogleich, da ein Antrag auf Aussetzung nicht vorliegt.“
Die endgültigen Patentansprüche lauteten dann:
- Gleitflieger mit zur Aufnahme von nicht Auftrieb erzeugenden Teilen dienenden Hohlkörpern, dadurch gekennzeichnet, daß der vertikale Längsschnitt der Hohlkörper die bekannte, für eine Tragfläche günstigste, geschweifte, unten eingebauchte Keulenform, mit dem dickeren Teile vorn, erhält.
- Gleitflieger nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Hohlkörper eine große Ausdehnung quer zur Fahrtrichtung durch seitlichen Anschluß an Tragflächen erhält, so daß der seitliche Abfluß der Luft verringert wird.
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Gleitflieger nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß die Gleitflächen des Fliegers oder Teile derselben als zur Aufnahme von Konstruktionsteilen, Personen, Nutzlasten dienende Hohlkörper ausgebildet sind.„9
Später wurde dieses Patent auch in den Junkerswerken als Nurflügel-Patent bezeichnet, was jedoch so nicht stimmt. „In der Patentbeschreibung und -zeichnung ist das neue System nur soweit erklärt und angedeutet, wie es für die Zwecke der Patentierung notwendig war ohne konstruktive Durcharbeitung„, erklärte Prof. Junkers in seinem Vortrag vom Dezember 1919. Patentiert war nur die Grundidee, „daß man nicht nur möglichst alle Teile mit einer Hülle in Stromlinienform umkleiden, sondern daß man diese Umhüllungen zu Hohlräumen ausbilden soll, welche bei möglichst geringem Widerstand zugleich ein Maximum an Auftrieb erzeugen … Diese Grundidee ist deshalb von entscheidender Bedeutung, weil sie zeigt, wie höchste Wirtschaftlichkeit des Flugzeuges als Transportmittel am besten erreicht wird.“
Dass Junkers am Ende aber ein Nurflügelflugzeug als Idealzustand vorgeschwebt haben könnte, geht aus dem schon erwähnten Schreiben von Wergien an das Patentamt hervor: „Die mit stetigen Übergängen an die Auftrieb erzeugende Umhüllung anschließenden Haupttragflächen werden soweit ausgehöhlt, daß sie selbst zur Aufnahme von Gegenständen usw., die an sich keinen Auftrieb erzeugen können, nutzbar gemacht werden. Die Haupttragflächen sind damit gewissermaßen selbst ein Teil der Auftrieb erzeugenden Umhüllung geworden, oder im extremen Falle, sie ersetzen die Umhüllung ganz. Dieses so Schritt für Schritt systematisch immer weitergehende Hineinverlegen möglichst allernicht Auftrieb erzeugendenGegenstände in Auftrieb erzeugende Hüllen, und die damit erzielte fortschreitende Verbesserung des Verhältnisses Auftrieb : Widerstand bis zur äussersten überhaupt möglichen Grenze kennzeichnet also die Erfindung.“
Auch Junkers war 1920 der Auffassung, dass sich die Entwicklung in Richtung Nurflügelflugzeug bewegen werde. Seine aerodynamischen Versuche, die er später im eigenen Windkanal durchführte, hätten ergeben, „daß der Widerstand, und also auch die Transport- oder Frachtarbeit je km, beim Flugzeug von der Geschwindigkeit unabhängig sind. Dies trifft natürlich nur für ein Idealflugzeug zu, welches keine „schädlichen Widerstände“ aufweist, sondern nur aus Tragfläche besteht. Je größer die Geschwindigkeit wird, um so kleinere Flügel sind zum Tragen einer bestimmten Last ausreichend, so daß der Widerstand eines solchen Flugzeuges, für alle Geschwindigkeiten, denselben, nur vom Flugzeuggewicht abhängigen Wert behält. In Wirklichkeit wird sich ein derartiges Idealflugzeug wohl nie ganz erreichen lassen, jedoch wird m. E. die Weiterentwicklung des Flugzeugbaues sich in dieser Richtung bewegen, so daß wir in absehbarer Zeit dem Ideal ziemlich nahekommen werden.“
Ursprünglich hatte Junkers keineswegs vor, selbst ein Flugzeug nach diesem Patent zu bauen. Nach der Patenterteilung verhandelte über ein Jahr lang mit dem Flugzeugfabrikanten Rumpler über eine Zusammenarbeit bei der technischen Umsetzung des Patentes, sie konnten sich jedoch nicht einigen, wer bei dieser Zusammenarbeit das Sagen hat: „Wenn ich mein Patent unter Verzicht auf eigene Disposition und seine weitere Entwicklung, Ausweitung und Verwertung in fremde Hände legen soll, so müßte ich, abgesehen davon, daß die Mitarbeit gerade das ist, was ich in erster Linie haben will, nicht der möglichst vorteilhafte Verkauf der Patente, die unbedingte Garantie haben, daß dasselbe seiner vollen Bedeutung entsprechend ausgebeutet wird„, meinte Junkers.10
Rumpler wollte sich jedoch von Junkers beim Bau eines Flugzeuges nach dem Gleitfliegerpatent nicht reinreden lassen: „Herr Rumpler macht geltend, daß Schwierigkeiten entstehen können in dem Fortgang der Arbeit, wenn Js. versäume, rechtzeitig sich zu äußern, und legt Wert darauf, im Interesse der Sache selbständig entscheiden zu können.„11Hinzu kam, dass Rumpler selbst forschte und ein ähnliches Patent angemeldet hatte.
Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 war eine Verwertung des Patentes als Lizenzvergabe ohne praktischen Nachweis der Ausführbarkeit so gut wie unmöglich geworden. Damit es wegen Nichtausführung nicht verfiel, musste Junkers nun selbst daran gehen, ein Flugzeug mit dicken Flügeln zu bauen. Ende September / Anfang Oktober 1914 stellte er ein Arbeitsprogramm für Flugtechnische Aufgaben auf und notierte Überlegungen zu einem Flugzeug als Transportmittel für Personen und Lasten. Als Baustoff kam wegen der leichten Formbarkeit nur Metall in Frage. Da im Kriege das leichte Duralumin für die Luftschiffe gebraucht wurde und daher schwer zu beschaffen war, entschied sich Junkers für das in seiner Badeofenfabrik vorhandene Eisenblech.
Der erste Entwurf, den seine Konstrukteure am 25. März 1915 anfertigten, war eine weitgehende Umsetzung der Leitgedanken des Gleitfliegerpatentes. Es war ein zweisitziger Mitteldecker mit 2 Propellern und 2 Motoren mit je 200 PS. Die Spannweite betrug 14 m, die Länge 5 m. Über den Sitzen war ein durchsichtiges Dach vorgesehen. Die Motoren waren im Flügel untergebracht, die Propeller lagen am hinteren Rand der Tragflächen und die gesamte Form des Flugzeuges zielte auf eine weitgehende Verminderung des Luftwiderstandes hin.