2. Juli 1928 Junkers

Am 2. Juni 1928 empfing der junge russische Lehrer Nikolai Reinhold Schmidt mit seinem selbstgebastelten Kurzwellenempfänger einen SOS-Ruf: Die von Umberto Nobile organisierte Nordpol-Expedition war in der Nähe von Spitzbergen abgestürzt und rief um Hilfe. Schmidt löste daraufhin sofort eine internationale Rettungsaktion aus.

Der italienische General Nobile war am 23. Mai 1928 mit 16 Mann Besatzung von Spitzbergen aus gestartet und hatte mit seinem Luftschiff „Italia“ am darauffolgenden Tag den Nordpol erfolgreich überquert. Auf der Rückfahrt kam es zur Katastrophe: Das Luftschiff berührte mit dem Heck das Eis, zehn der Insassen – darunter auch Nobile – wurden auf das Packeis geschleudert, wobei ein Expeditionsmitglied zu Tode kam. Die übriggebliebene Gashülle verschwand mit den restlichen sechs Männern auf Nimmerwiedersehen.

Von den auf dem Eis Gestrandeten waren glücklicherweise nur drei verletzt. Expeditionsleiter Nobile und sein Landsmann Cedioni hatten sich jeder ein Bein gebrochen und waren bewegungsunfähig, der schwedische Ozeanologe Dr. Finn Malmgren hatte sich den Arm geprellt.

Mit Hilfe eines Radiosenders, der den Sturz unversehrt überstanden hatte, versuchte die neunköpfige Gruppe lange Zeit vergeblich, ein Notsignal abzusetzen. Daraufhin machten sich Malmgren mit den beiden Korvettenkapitänen Mariano und Zappi auf den Weg, um Hilfe herbeizuholen.

Nachdem der russische Amateurfunker Schmidt nach über zwei Wochen endlich den Hilferuf empfangen und die Weltöffentlichkeit alarmiert hatte, vergingen immer noch mehrere Tage, bis die ersten Rettungsexpeditionen starten konnten. Verzweifelt wandte sich die Schwester des Tschechen Dr. Frantisek Behounek, der als Experte für kosmische Strahlungen an der Fahrt des Luftschiffes teilgenommen hatte, am 6. Juni 1928 mit einem Hilferuf an Professor Junkers:
Als Schwester des tschechoslovakischen Polarforschers Dr. Behounek, der sich des Nobile letzte Fluges beteiligte, stehe ich hier der Verzweiflung nahe. Ich habe schon jede Hoffnung aufgegeben, dass die Polarhilfsexpedition irgendeinen Erfolg haben können, da sie von vornherein pessimistisch angesehen und infolgedessen langsam vorgenommen werden. … Nun komme Sie, hochgeschätzter Herr Professor, höflichst bitten, ob Sie nicht gefälligst ein Ihrer allerbesten und heute in der ganzen Welt berühmten Flugzeuge zur Verfügung stellen würden. Ich bin sicher, dass Junkersflugzeug und meine Intuition sicher nicht nur meinen armen Bruder, sondern auch die übrigen entdecken würden, seien sie tot oder am Leben. …

Wenige Tage später erhielt die mit der Firma Junkers zusammenarbeitende schwedische Luftverkehrsgesellschaft A. B. Aerotransport den Auftrag, ihr dreimotoriges Verkehrsflugzeug G 24 nach Spitzbergen zu entsenden. Es wurde sofort entsprechend ausgerüstet und startete mit Sergeant Nils Nilsson am Steuer über Lulea nach Tromsö.

Junkers G 24 „Upland“ mit ihrem Piloten Nilsson

Auch die Finnen stellten ein Junkersflugzeug für die Hilfsexpedition zur Verfügung. Die finnische Gesellschaft Aero O. Y. nahm ihre F 13 „Turku“ mit der Kennung K-SALG aus dem Verkehr und rüstete sie in aller Eile für die Expedition aus. Am 16. Juni um 4 Uhr morgens startete Pilot Gunnar Lihr mit der K-SALG über Wasa nach Tromsö. Von dort wurde das Flugzeug mit dem Dampfer nach Kingsbay transportiert.

F 13 K-SALG

Am 18. Juni wurden am Norden Spitzbergens zwei Rettungsdienste an Land gesetzt, die auf Skiern und mit Hundeschlitten nach der verunglückten „Italia“-Besatzung suchen wollten. Eine Gruppe bestand aus Albertini, Matteoda, Bich und Pellisier, die zweite aus dem Kapitän des italienischen Alpenrettungsdienstes, Capitain Sora, dem dänischen Ingenieur Varming und dem niederländischen Schlittenhundeführer Sjef van Dongen. Das Albertini-Rettungs-Team untersuchte auf Skiern die Westseite der Rijpfjord, während die Sora-Gruppe mit einem Hundeschlitten die Nordostküste Spitzbergens absuchte. Als Varming wegen Schneeblindheit zurückbleiben musste, wagten sich van Dongen und Sora weit hinaus auf das schwierige Packeis östlich der Foyn-Insel. Beide verfügten über keinerlei Arktiserfahrung und gerieten bald infolge schlechter Eis- und Wetterverhältnisse in größte Lebensgefahr.

Der Italiener Maddalena war mit seiner Savoya S 55 inzwischen bis zur Bäreninsel vorgedrungen und in Tromsö warteten drei Wasserflugzeuge, darunter auch die G 24, auf günstiges Flugwetter. An diesem windstillen Tag schaffte es jedoch nur ein Flugboot, sich vom Wasser zu erheben. Es war die französische Latham 47 mit dem norwegischen Polarforscher Roald Amundsen an Bord, der ebenfalls an der Rettung von Nobile teilnehmen wollte. Das Flugboot und seine fünfköpfige Besatzung wurden nie wieder gesehen. Nur Maddalena landete am Abend des 18. Juni in der Kingsbay.

Einen Tag später trafen auch Nilsson und Penzo in der Kingsbay auf Spitzbergen ein. Der schwedische Pilot Nilsson war mit seiner G 24 „Upland“ der Erste, der das Eismeer zwischen Nordnorwegen und Spitzbergen ohne Zwischenlandung bewältigt hatte – Maddalena war am Tage zuvor auf halber Strecke auf der Bäreninsel zwischengelandet. Sechs Stunden und zehn Minuten hatte die „Upland“ für diesen Flug gebraucht, davon musste Nilsson zwei Stunden ohne Bodensicht über den Wolken fliegen. Der Italiener Penzo, der zur gleichen Zeit gestartet war, traf mit seinen Wasserflugzeug „Dornier Wal“ 50 Minuten später ein. Noch am selben Tage flog die „Upland“ zur Virgo-Bay, wo sich das Hauptquartier der schwedischen Hilfsexpedition befand. Sie landete dort um zwei Uhr morgens am nächsten Tage.

Am Nachmittag des 20. Juni 1928 suchte die Junkers G 24 zusammen mit den anderen Flugzeugen die Eisfläche nach der Nobilegruppe ab. Der Italiener Maddalena entdeckte mit seinem Savoia-Flugboot sechs Männer, die um ein rotes Zelt herumstanden. Da nicht genügend freie Wasserfläche zur Verfügung stand, konnten weder das Flugboot noch die G 24 landen. Nilsson kehrte zwei Tage später mit Lebensmitteln, Kleidungsstücken und Akkumulatoren zurück und warf sie am Roten Zelt ab. Mit den abgeworfenen Akkumulatoren für den Radiosender konnte die Nobilegruppe ihre unterbrochene Verbindung mit der Außenwelt durch ihre Funkanlage wieder aufnehmen und war imstande, bis zu ihrer endlichen Rettung durchzuhalten.

Das Operationsgebiet mit den von der G 24 Upland geflogenen Strecken. Das Flugzeug hatte in kurzer Zeit insgesamt 9070 km zurückgelegt.

Am 24. Juni 1928 landete der Schweden Lundborg mit seiner Fokker C V auf Schneekufen in der Nähe der Nobile-Gruppe. Da das dreisitzige Militärflugzeug nur noch einen freien Platz hatte – Pilot Lundborg hatte einen Beobachter dabei – entschied man sich dafür, Nobile als ersten auszufliegen, da er der leichteste und am schwersten verletzt war. Leider überschlug sich Lundborg mit Fokker beim Versuch, den Rest der Gruppe auszufliegen.

Das Junkers-Flugzeug „Upland“, das auf der Eisscholle nicht landen konnte, unternahm inzwischen ausgedehnte Flüge, um die abgetriebene Ballongruppe und die verschollene Latham mit Amundsen zu suchen und die gefundenen Expeditionsgruppen mit Lebensmitteln zu versorgen.

Der Finne Lundborg startete am 26. Juni mit seiner Junkers F 13 gemeinsam mit Penzo’s „Dornier Wal“ und Maddalena’s „Savoya“ nach der Virgo-Bay. Dort wurde die F 13 auf Schneekufen gesetzt. Nachdem Lundborg jedoch feststellen musste, dass eine Landung auf der Eisscholle auch für Schneekufenflugzeuge unmöglich war, wurden die Skier wieder gegen Schwimmer ausgetauscht. Am 7. Juli traf der russische Eisbrecher „Krassin“ in der Nähe der Absturzstelle ein. Ab Bord hatte er eine dreimotorige Junkers K 30 (Militärversion der G 24). Pilot Boris Tschuchnowski entdeckte auf seinen Flügen mit der K 30 „Krassnyj Medwed“ (Roter Bär) am 10. Juli die Malmgren-Gruppe und rief den Dampfer „Krassin“ herbei, der aber konnte nach seinem Eintreffen zwei Tage später nur noch Zappi und Mariano an Bord nehmen, Malmgren war tot.

Die russische K 30 wird startbereit gemacht

Auch der russische Eisbrecher „Malygin“ war zu Hilfe geeilt, war aber zu schwach, um nordwärts gegen das Eis vorzustoßen. Auch er hatte ein Junkers-Flugzeug an Bord, eine russische F 13, die von Pilot Babuschkin gesteuert wurde. Nachdem das Flugzeug auf das Eis gebracht worden war, unternahm Babuschkin ebenfalls Erkundungsflüge in Richtung der Absturzstelle. Während seines 15. Fluges brach ein heftiger Schneesturm aus, und als Babuschkin nicht am gleichen Tag zurückkehrte, gab man das Flugzeug schon verloren. Zur großen Überraschung der Schiffsbesatzung landete Babuschkin nach fünf Tagen wohlbehalten neben seinem Mutterschiff. Er hatte bei Sturm und Nebel das Flugzeug notdürftig auf einer Eisscholle verankern müssen, mit der er dann tagelang herumgetrieben war.

Babuschkins F 13 im Nebel vor dem Dampfer „Malygin“.

Tschuchnowski hatte bei seinem Rettungsflug am 12. Juli auch Sora und van Dongen entdeckt und diese Nachricht an die schwedische Hilfsstation weitergegeben. Sofort startete Lihr mit seiner F 13 K-SALG gemeinsam mit einem schwedischen Militärwasserflugzeug zum angegebenen Standort dieser Gruppe und konnte in deren Nähe auf einer eisfreien Stelle landen. Die Übernahme der Expeditionsmitglieder in das Junkersflugzeug gestaltete sich äußerst schwierig, da die Wasserfläche immer kleiner wurde und zum Schluss nur noch 100 Meter größten Durchmesser hatte. Trotzdem gelang der Start, den schwedische Zeitungsmeldungen als ein Meisterstück des finnischen Piloten Lihr bezeichneten. Um Mitternacht traf beide Flugzeuge mit den Geretteten beim Hilfsschiff „Quest“ ein.

Nach der glücklichen Rettung der Sora-Gruppe. v.l.n.r.: Lihr, Kapt. Sora, Bordmonteur Beckmann, van Donghen, Nilsson.

Prof. Junkers übersandte am 11. August 1928 an den Piloten Michail Sergejewitsch Babuschkin folgendes Anerkennungsschreiben:

Ich nehme mit besonderer Freude Veranlassung, Ihnen meine Anerkennung für Ihre bewundernswürdigen Leistungen auszusprechen, die Sie mit einer Junkers-F 13-Maschine anlässlich der Rettungsexpedition für die Italia-Mannschaft vollbrachten. Ich beglückwünsche Sie zu dieser Leistung herzlich und bitte Sie, als äußeres Zeichen meiner Anerkennung die goldene Junkersnadel, die ich Ihnen mit diesem Schreiben überreiche, anzunehmen.

Ein ähnliches Anerkennungsschreiben erhielten Boris Gregorjewitsch Tschuchnowski, Nils Wicto Nilsson und Gunnar Lihr. Letzterer antwortete am 25. September 1928:

Ich danke Ihnen herzlichst für Ihren Glückwunsch und das Geschenk, welches ich immer mit Stolz tragen werde. Ich bin tief gerührt, dass Sie bei Ihrer vielseitigen und Sie ganz in Anspruch nehmenden Arbeit und Tätigkeit an mich gedacht haben. Die Rettung unserer Nächsten aus der Gefahr ist eine menschliche Pflicht, der wohl ein jeder von uns nachkommen wird, wie dieses bei der Errettung der Mannschaft der „Italia“ ganz besonders zum Ausdruck gelangte. Ich brauche Sie nicht zu versichern, dass ich stets bereit bin an Hilfsexpeditionen teilzunehmen, stolz darauf, dass ich einen Junkers-Motor F 13 L 5 zu lenken habe, der Bewunderung und Anerkennung in der ganzen Welt gewonnen hat. Ihnen nochmals herzlichst dankend, empfehle ich mich Ihnen, hochgeehrter Herr Professor, mit vorzüglicher Hochachtung Gunnar Lihr.

Der finnische Pilot Lihr und sein Beobachter Sarko werden in Helsingfors empfangen.
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